Ist der Reformkonsens in Sicht?
15.09.2025


Rückblick | Chefsache Berlin | 15.09. - 17.09.2025
Im Zentrum der Macht – die wvib-Delegation zu Gast bei Thorsten Frei im Kanzleramt
Vor der Wahl haben Merz und die Union mit dem Politikwechsel um Stimmen geworben – und große Erwartungen geschürt.
Die wirtschaftliche Lage ist katastrophal, im Haushalt klafft trotz Rekordschulden eine Milliardenlücke. Die Sozialabgaben steigen immer weiter, hohe Steuern und Bürokratie machen den Standort immer unattraktiver. Der Handlungsdruck steigt mit jedem Tag.
Nur: Dem eigentlich notwendigen, fundamentalen Politikwechsel steht in der Realität eine Politik der kleinen Schritte entgegen. Deutschland ist keine Ausnahme: Die Krise der Handlungsfähigkeit liberaler Demokratien zeigt sich in ganz Europa.
Die drei Tage in der Hauptstadt haben uns gezeigt: Diese Koalition ist zum Gelingen verdammt. Darin waren sich fast alle einig, die bei der Chefsache: Berlin auf dem Programm oder dabei waren. Kaum einer bestreitet die Notwendigkeit einer umfassenden Neuordnung oder Reformagenda.
Es gibt berechtigte Kritik. Aber auch wenig Anlass für pauschale Schwarzmalerei. Fast alle Akteure sind sich der Herausforderung bewusst. Und es gibt gute Gründe für vorsichtigen Optimismus.
Das war unser Programm im Detail:
- Enttäuschte Liebe: Im Wahlkampf hat die Union für den Politikwechsel geworben - nicht alles davon lässt sich in der Koalition. Mit der "enttäuschten Liebe" hat Gitta Connemann, Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) die Stimmung gut beschrieben. Sie sagt aber: Entspannt euch, es sind erst vier Monate rum.
- Die Zusammenarbeit in der Koalition ist besser als ihr Ruf. Thorsten Frei muss es wissen, schließlich ist er Kanzleramtsminister. Mit ihm haben wir über anstehende Baustellen und strittige Punkte gesprochen.
- Diese Koalition ist zum Gelingen verdammt. Zumindest darin war sich unser Lobby-Panel aus Thorsten Alsleben, Hannes Christoph Bächle und Martin Kaul einig. Weniger einig waren sich die Drei in der Frage, ob politische Korrekturen in der Klimapolitik zwingend notwendig oder schädliche Zickzackpolitik sind.
- Don’t bet against Germany just yet! Manchmal hilft der Blick von außen, um die Dinge klarer zu sehen. Tom Nuttall sieht das „Germany-shaped hole“ in der EU wieder etwas gefüllt - und hat den kranken Mann Europas noch nicht vollständig abgeschrieben.
- Wenn die Staatsmodernisierung richtig greift, ergibt sich der Bürokratieabbau fast von selbst. Luise Hölscher hat uns in ihrem Vortrag echten Mut gemacht, dass es mit Staatsmodernisierung, Digitalisierung und Bürokratieabbau dieses Mal wirklich klappen könnte. Wir drücken die Daumen!
- Zeigt die SPD in der Koalition zu wenig Profil? Darüber diskutierten wir mit Sebastian Roloff. Seine Position: Erfolge gehen in der Koalition vor allem an den größeren Partner – umso mehr müsse sich die SPD als Juniorpartner darum bemühen, durchzudringen. Natürlich haben wir mit ihm auch über Reformen im Sozialbereich und das Tariftreuegesetz gesprochen.
- „Wie hältst Du es mit der Industriepolitik?“ Das ist wohl die größte ungelöste Frage der Wirtschaftspolitik. Darin waren wir uns mit Dr. Sandra Detzer von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sehr einig. Weniger Einigkeit gab es bei den konkreten Details, etwa in der Energiewende. Der Zeitgeist ist denkbar ungrün – umso schwerer tut sich die Partei damit, ihre wirtschaftspolitischen Positionen in der Opposition neu zu justieren.
- Nur mit positiven Zukunftsvisionen haben wir eine Chance gegen die Krise der Handlungsfähigkeit liberaler Demokratien. Ralf Fuecks und Prof. Dr. haben uns im Zentrum Liberale Moderne die intellektuelle Abrundung und Einordnung unserer drei Tage geliefert. Das hat sehr großen Spaß gemacht!