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Nicht jeder, der nach Indien fährt, entdeckt Amerika

22.04.2025

Chef-Talk Global | 22.04.2025 | online

Die Welt ist im Wandel – und mit ihr die Spielregeln der globalen Wirtschaft. Für viele mittelständische Unternehmen heißt das: Orientierungsarbeit in einem neuen Koordinatensystem. Wo gestern noch freie Märkte und globale Lieferketten dominierten, bestimmen heute geopolitische Spannungen, neue Allianzen und ein klarer Trend zu „Local for Local“ die Richtung. Prof. Dr. Manuel Vermeer, Sinologe und langjähriger Begleiter mittelständischer Unternehmen auf dem Weg nach Asien, gab in seinem Impuls einen kenntnisreichen Überblick über diese neue Weltordnung – und zeigte auf, wie Unternehmen sich darin strategisch klug positionieren können.

Geoökonomie: Back to the Jungle?

Der weltweite Trend zur Abschottung ist kein neues Phänomen. „Die USA waren nie ein wirklich global denkender Akteur – wir erleben mit Donald Trump eher eine Rückkehr zur Monroe-Doktrin“, so Vermeer. Parallel dazu formiert sich ein fundamentaler geopolitischer Konflikt, in dessen Zentrum China und Indien stehen. Die Grenze zwischen beiden Ländern ist nicht eindeutig definiert – entlang dieser Linie stehen sich heute noch Soldaten gegenüber. Und auch der Indopazifik bleibt ein Pulverfass: 70 Prozent des Welthandels passieren die Meerenge vor Taiwan – ein Nadelöhr mit enormer strategischer Bedeutung. Die Gewässer dort sind flach, die Lage angespannt. Der Dschungel fängt dort an, wo keine WTO-Regel mehr greift, keine internationale Organisation mehr Durchschlagskraft besitzt. Und einzelne Machthaber über Krieg, Frieden und Handel entscheiden. 

Chancen inmitten von Unsicherheit

Trotz – oder gerade wegen – dieser Herausforderungen lohnt sich der Blick auf die Chancen. Indien etwa gewinnt massiv an Bedeutung. Schon heute stammt jeder dritte CEO eines Fortune Global 500 Unternehmens aus dem Subkontinent. In 40 Jahren, so Vermeer, wird Indien dreimal so viele Menschen zählen wie China – ein riesiger Markt mit enormem Potenzial. Doch Indien ist kein einfaches Terrain: Viele Ausländer tun sich schwer, dort Fuß zu fassen. Wer erfolgreich sein will, braucht ein feines Gespür für kulturelle Unterschiede und eine langfristige Strategie. Der Strommix ist aktuell noch stark kohlelastig, aber der Ausbau der Atomkraft ist geplant. Handelsabkommen mit der EU stehen in Aussicht – doch Themen wie Agrarprodukte und Rotwein sorgen für Reibung.

China und Indien: Gegensätze oder Ergänzung?

In der anschließenden Diskussion wurde deutlich: Viele Unternehmen stehen vor der Frage, ob und wie sich Engagements in China und Indien miteinander vereinbaren lassen. Hier hilft kein Schema F – gefragt sind differenzierte, realistische und vor allem flexible Strategien, die geopolitische Risiken ebenso einpreisen wie kulturelle Besonderheiten und politische Entwicklungen.

Die neue Weltordnung zwingt den Mittelstand, seine Globalisierungsstrategien neu zu justieren. China und Indien bleiben wichtige Märkte – aber sie verlangen ein tieferes Verständnis, strategische Geduld und kulturelle Sensibilität. Wer sich darauf einlässt, kann nicht nur Risiken abfedern, sondern echte Chancen nutzen.