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Taiwan und das Schicksal der Globalisierung

16.12.2025

Taiwan und das Schicksal der Globalisierung

Rückblick | Clustertreffen Globalisierung, Der Taiwan-Faktor | 16.12.2025 | online
 

Taiwan und das Schicksal der Globalisierung

Das deutsche Wirtschaftswunder ist imposant. Im Ranking der Superlativen für erfolgreiche Beispiele rund um Wachstums-, Fortschritts- und Wohlstandsentwicklung gibt es jedoch ernsthafte Mitstreiter. Taiwan. Der Blick in die Zukunft verheißt aus technologischer Perspektive eine goldene Ära. Aus geopolitischer Sicht könnte die Unsicherheit nicht größer sein. Der Tanz auf dem Vulkan nimmt jedoch weniger die Gestalt einer berauschenden Party an, sondern äußert sich in technologischer, ökonomischer Spitzenleistung.

Die Insel von der Größe Baden-Württembergs scheint aus eurozentrischem Blickwinkel weit entfernt, abseits der täglichen News. Und doch ist unsere Abhängigkeit größer, als viele wahrhaben wollen. Taiwan Dreh- und Angelpunkt der globalen Wertschöpfungskette. Die Produkte sind hochspezialisiert und systemrelevant für Zukunftstechnologien: Ohne Halbleiter und Chips keine KI-Anwendungen, Maschinen oder Roboter.

Fakten, an denen niemand vorbeikommt:

  • Das Wirtschaftswachstum für 2025 wird aufgrund des KI-Booms mehr als 7% betragen.

  • Taiwan hat das beste Gesundheitssystem der Welt und gibt dafür nur 6,6% des BIPs aus, während Deutschland auf Rang acht mehr als 12% ausgibt.

  • Der Börsenwert der in Taiwan gelisteten Unternehmen ist mittlerweile höher als der Gesamtbörsenwert der in Deutschland gelisteten Unternehmen.

  • Im Demokratie-Index wird Taiwan auf Platz zwölf geführt, Deutschland auf Rang 13, die USA auf Rang 28.

Deutschland und Taiwan verbindet vieles: industrielle Kompetenz, Exportorientierung und sogar die Weimarer Verfassung, die in Taiwan seit 1949 in Kraft ist. Allerdings konnte sich Taiwan seit Ende des zweiten Weltkrieges nie den Luxus sicherheitspolitischer Bequemlichkeit leisten, so Ian-Tsing Joseph Dieu, Generaldirektor der Taipeh Vertretung in München.

Taiwans Erfolg und Wettbewerbsfähigkeit wurde unter permanentem Druck geformt. Naturgewalten, die Bedrohung vom chinesischen Festland und strukturelle Abhängigkeiten gehören dort zum Alltag. Das Verhältnis zum Nachbarn und Zwillingsbruder ist paradox bis komplex. Die Hoffnung auf Wandel durch Handel wird hier auf eine harte Probe gestellt. Verflechtung schafft Nähe, aber keine Garantie für Stabilität. Resilienz ist in Taiwan kein politisches Schlagwort, sondern Betriebsgrundlage.

Ein Ausfall Taiwans als Zulieferer für Halbleiter und Vorprodukte wäre für Europa und wahrscheinlich für das gesamte Welthandelssystem kein punktuelles Problem, sondern ein struktureller Einschnitt. „Nicht alles würde zum Stillstand kommen, aber nichts bliebe unverändert“ ist sich Frank Neumeister, CEO von NELA Brüder Neumeister sicher.

Taiwan ist kein fernes, geopolitisches Szenario. Es ist ein Spiegel für unsere eigenen wirtschafts- und industriepolitischen Entscheidungen. Und wahrscheinlich die unbequemste Erfolgsgeschichte unserer Zeit. Denn mit dem Erfolg der kleinen Insel im südchinesischen Meer wird die Frage immer drängender: Wo sitzen die Architekten des Welthandelssystems der Zukunft? Und wer definiert die Regeln?